Das Bildungsbürgertum – Die Gewaltfrage
31. März 2023 | Bakraufarfita Records |
Tape/Download/Stream | 17:25 | 6 Tracks |
Punk Rock | Ostfriesland |
Und immer wieder…
… sind es die gleichen Lieder? Ja, man könnte es meinen, wenn man sich die letzten Ausläufe der zweiten Deutschpunkwelle anschaut. Doch Punk Rock in Deutschland ist mehr als das nächste Album der Toten Hosen, die sexuellen Übergriffe von Feine Sahne Fischfilet oder die gekonnte Selbstdekonstruktion des Dirk Jora. Man denke hier nur an Kotzreiz, Pogendroblem, Deutsche Laichen oder AKJ, und schon wird die Laune wieder besser. Und dann ist da ja noch die Sache, dass deutscher Punk mehr ist als nur Deutschpunk. Im sonnigen Ostfriesland ist ein Quartett beheimatet, das uns zeigt, dass es auch mit Melodie und abwechslungsreichen Klängen geht: hier sind Zottel, Hanno, Fabian und Tim – hier ist Das Bildungsbürgertum.
Gewalt aber mit Stil
Kein Jahr nach ihrer selbstbetitelten EP schießen die vier Norddeutschen das Nachfolgewerk Die Gewaltfrage nach und beschäftigen sich – wie der Titel schon vermuten lässt – mit den verschiedenen Einsatzgebieten von Gewalt. So beginnt es mit einem Szenario, das sicherlich viele Lesende kennen: man sitzt gut gelaunt im Zug und plötzlich steigt eine wilde Horde Fußballfans zu. Aus der ruhigen Atmosphäre wird binnen Sekunden eine Mischung aus Bier- und Schweißgeruch in Kombination mit Gegröle und lauter Musik, die selbst den Ausrichtenden des Schlagermoves zu peinlich wäre. Und kurze Zeit später liegen mal wieder dreizehn Leichen im Gleisbett… man kennt das.
Von Problemen und Lösungen
Der wohl schönste Titel der EP ist Warum sind eure Nudeln nicht vegan? (Ich raste aus!). Hinter dem langen Namen, dessen Stil an Die Bockwurschtbude erinnert, verbirgt sich der alltägliche Struggle von Veganer*innen. Antiveganismus sollte man in der humoristischen Nummer nicht suchen, denn der nächste Song Clemens T. beginnt mit der Zeile
Clemens Tönnies ist ein Mörder und Rassist
Und auch im weiteren Verlauf des Liedes finden sich einige Beispiele für die Rechtfertigung von Gewalt Mittel. Wer hier einen aktiven Aufruf zu Körperverletzung oder Mord sieht, darf sich von Danger Dan die Sache mit der Kunstfreiheit nochmal erklären lassen.
Randale und Spaß
Als nächstes grüßt Das Bildungsbürgertum alle V-Leute, die bei den Konzerten aufpassen, bevor das kleine Götz Widmann-artige Skit …auch die tollsten Demokraten im letzten Lied Ode an die Zäune mündet. Sowohl inhaltlich als auch musikalisch ist die abwechslungsreiche Punk Nummer der stärkste Song der EP. Das Bildungsbürgertum thematisiert hier die unfassbare Freiheit, die man als Bewohner*in des Schengenraums genießen kann, während an den Außengrenzen blanke Gewalt gegen diejenigen angewandt wird, die auch diese Freiheit oder zumindest kurzzeitigen Schutz suchen. Der Song passt gut in eine Playlist mit Desperate Lullaby (Song for Alan) von den Scallwags und Sie wollen wieder schießen (dürfen) von Slime.
Zwischen Ernst und Freude
Die Gewaltfrage ist ein bisschen Dilettantismus, textlich sehr gut verständlich, im Grunde von sehr ernsten Thematiken geprägt, aber humorvoll rübergebracht. Man mag an Bands wie Borrachos, Kolporteure oder Schmutzige Taten denken, wenn man die melodischen Klänge hört. Das Bildungsbürgertum präsentiert sich sympathisch, empathisch, stabil antirassistisch und feierlustig. Musikalisch überzeugt die EP (mich) leider überhaupt nicht, aber aufgrund der Sympathieboni gibt es am Ende 5/10 Pestogläser
Das Bildmaterial wurde mir freundlicherweise von Bakraufarfita Records zur Verfügung gestellt.